Kurzbericht zur
Galizienreise 2018
Für uns Deutsche als Europäer der EU ist es schon länger kein
Problem mehr, in die Ukraine zu fahren. Man kann über das Internet ein Hotel in
Lemberg buchen, man kann eine Fahrkarte, Bus oder Bahn, nach Lemberg lösen,
oder man kann mit dem eigenen Auto hinfahren, so wie mein Sohn und ich es im
Jahre 2007 getan haben. Man kann Lemberg auch mit dem Flugzeug zu günstigen
Preisen erreichen und zwar von Berlin, München, Düsseldorf und Wien direkt nach
Lemberg. Die jungen Ukrainer sprechen fast alle Englisch, das Personal in den
Hotels sowieso.
Das Hilfskomitee der Galiziendeutschen organisiert jedes Jahr
Reisen in die von Deutschen ehemals bewohnten Orte. Da aber diese Reisen
meistens die evangelischen Orte betreffen, war ich bisher daran nicht
beteiligt. Für uns Katholiken gab es die Möglichkeit, mit der Firma Reich aus
Jüterbog Reisen nach Galizien zu machen, anfangs auch mit dem Busunternehmen
Mayer aus Calw bei Stuttgart. 1994 waren noch viele der Erlebnisgeneration
zusammen mit mir auf einer solchen Reise dabei. 1999 war ich mit meiner Ganzen
Familie dort und 2004 war es eine Reise, wo wir, ausgehend von unserem Ostrauer
Treffen, die ehemaligen deutschen Orte Wiesenberg, Ottenhausen, Weissenberg und Münchenthal besucht haben.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass meine Frau und ich schon 1970 mit dem
Motorrad in Lemberg und Wiesenberg waren, allerdings als Transitreisende, die
unerlaubt von der vorgeschriebenen Route abgewichen sind.
Nun wollte das Hilfskomitee in diesem Jahr eine besondere Reise
veranstalten. Realisiert wurde aber nur der Teil der Reise mit Anreise per
Flugzeug. Als Flugreise ging es zunächst nach Kiew, mit dem Flugzeug weiter
nach Odessa und dann mit dem Schlafwagen von Odessa nach Lemberg. Diesen Teil
der Reise habe ich nicht mitgemacht, da ich an der geplanten Busreise nach
Lemberg teilnehmen wollte, die aber dann wegen mangelnder Beteiligung ausfiel.
So kam es, dass ich zum zweiten Teil der Reise allein mit dem
Fernbusunternehmen Flixbus nach
Lemberg reiste. Den zweiten Teil der Reise innerhalb der Ukraine veranstaltete
ein ukrainischer Busunternehmer mit dem deutsch klingenden Namen Schmidl. Wir waren dann 18
deutsche Reiseteilnehmer und zwei Teilnehmer in der Funktion als Reiseleiter.
Herr Hans-Christian Heinz, der seit vielen Jahren in Lemberg lebt, kennt sich
mit der Geschichte der deutschen Siedlungen in Galizien bestens aus. Er war
auch unser Dolmetscher zusammen mit Herrn Schmidl.
Nun hat das Hilfskomitee schon seit Jahren gute Beziehungen zu den
heutigen Bewohnern der ehemals evangelischen deutschen Siedlungen. Im Verlauf
der Jahre seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 wurden in diesen Siedlungen
viele Gedenktafeln auf Friedhöfen oder in Kirchen angebracht. Auch dieses Mal
wurden in zwei evangelischen Orten Gedenktafeln zur Erinnerung an die deutsche
Besiedlung eingeweiht. Solche feierlichen Veranstaltungen sind immer ein Anlass
für die Ukrainer zu betonen, wie gut die Beziehungen zwischen Ukrainern und
Deutschen in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg waren.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, dass die
Teilnehmer an den so genannten Heimweh-Reisen in den Osten Europas so ziemlich
die Einzigen sind, die persönliche Kontakte zu den Menschen in diesen Ländern
haben. Sie können auf diese Weise mehr bewirken, als mancher Politiker. Was die
Menschen in der Ukraine betrifft, bekommt man immer wieder zu hören, dass ein
Endziel ihrer politischen Entwicklung die Zugehörigkeit zu Europa, zur
Europäischen Union sein soll. Die Griechisch-katholische Kirche in der
Westukraine hat einen wesentlichen Anteil an der Erziehung der Jugend zu
verantwortungsvollen Staatsbürgern und überzeugten Europäern. Diese Jugend ist
nicht mehr der antriebslose Menschentyp der Sowjetzeit. Die noch vorhandenen
Reste dieses Typs werden jetzt als „homo sowjetikus“ gekennzeichnet.
Nach der Verfolgung in der Sowjetzeit entstand die Autokephale Orthodoxe Kirche
des Kiewer Patriarchats als eine von den „Moskowitern“ unabhängige Kirche. Andererseits
versucht die noch vom Sowjetsystem geprägte orthodoxe Kirche des Moskauer
Patriarchats die Orientierung der Ukrainer nach Russland aufrecht zu erhalten. Mit
dem Anspruch jetzt die ganze Ukraine zu vertreten, hat der Erzbischof der
griechisch-katholischen Kirche seinen Amtssitz von Lemberg nach Kiew in eine
neu gebaute Kathedrale verlegt. Wie das Beispiel Wiesenberg zeigt, wurden im
ganzen Land die in der Sowjetzeit zerstörten Kirchen noch schöner wieder
aufgebaut. In Abgrenzung zum Atheismus der Sowjetzeit sollen diese äußerlich
sichtbaren Zeichen die Identität des neu entstandenen Staates Ukraine
definieren.
Nicht zu übersehen ist, dass sich das Land im Kriegszustand mit
Russland befindet. In Kirchen und auf öffentlichen Plätzen stehen Tafeln mit
Bildern von gefallenen Soldaten aus der Region. Diese Soldaten waren als
Freiwillige in den Kampf gezogen. Die Ausbildung aller Soldaten der Ukraine für
den Kampfeinsatz findet auf dem großen Truppenübungsplatz Javoriv statt, unweit von
Lemberg, weshalb man in Lemberg viele Soldaten auf den Straßen sieht. Eine
wichtige Tatsache haben die westlichen Medien bis jetzt verschwiegen: Die Krim
war zu Chruschtschows Zeiten kein großzügiges Geschenk der Sowjetunion an die
Ukraine, sondern das Objekt eines Gebietsaustauschs gegen östliche Gebiete der
Ukraine, wie zum Beispiel das Gebiet um Kursk. Außer gegen Panzer muss sich die Ukraine auch
gegen Falschmeldungen aus dem Osten wehren. Aber auch in diesen Kriegszeiten
ist die Westukraine, das heißt Galizien, ein sicheres Land für Touristen.
Wir haben auf der Busreise wichtige Orte Galiziens besucht mit
bedeutenden Baudenkmälern und mit einer von Ukrainern, Polen, Deutschen und vor
Allem von Juden geprägten Kultur, die leider vergangen und vernichtet ist.
Stationen waren unter Anderem: Czernowitz, Kolomea, Stanislau,
das jetzt Ivano-Frankivsk heißt und Drohobyc.
Auf diesem Weg haben die Ukrainer uns auch eine der Stätten gezeigt, wo Juden
vernichtet wurden. Bemerkenswert ist die Geschichte der Kirche in der deutschen
Siedlung Mariahilf: Die in sowjetischer Zeit
zerstörte katholische Kirche wurde nach 1991 wieder aufgebaut. Unverändert in
dieser Kirche ist eine von Gewehrkugeln durchlöcherte Christusfigur. Sie ist
das Ergebnis einer zu stürmischen Rückeroberung des Ortes durch die Sowjetarmee
1944. Der Soldat der auf diese Figur geschossen hatte, soll den Tag nicht
überlebt haben….
Die Besonderheit dieser evangelisch geprägten Bustour war, dass
auch in einem katholischen Ort, nämlich in Münchenthal, westlich von Lemberg, eine feierliche
Einweihung eines Denkmals stattfinden sollte mit einem extra beim Bischhof in Lemberg
bestellten katholischen Priester.
Aus Münchenthal stammen
die Vorfahren des Kanadiers Brian Lenius.
Seit vielen Jahren stehe ich in Kontakt mit ihm, weil unser gemeinsames Arbeitsgebiet
die Familienforschung ist. Brian Lenius ist
es gelungen, vorwiegend aus eigenen Mitteln, ein etwa 4 ½ Meter
hohes Denkmal auf dem Friedhof von Münchenthalaufzubauen.
Die feierliche Einweihung des Denkmals sollte auch unter Beteiligung von
Deutschen stattfinden. Deshalb kamen wir beide auf die Idee, die geplante Reise
des Hilfskomitees so einzurichten, dass die Feier in Münchenthal ein Teil dieser Reise wurde. Es
wurde, wie sich das heute gehört, eine katholische Einweihungsfeier mit oekumenischem Charakter,
zusammen mit griechisch-katholischen und orthodoxen Priestern. Etwa 15
Deutsche, ebenso viele Kanadier, 4 geistliche Herren und etwa 100 Ukrainer aus
dem Dorf waren an dieser Feier beteiligt.
Für mich galt nun die Besonderheit, dass ich einen Tag früher in
Lemberg angereist und einen Tag länger in Lemberg geblieben bin. Damit hatte
ich Gelegenheit, den Heimatort meiner Eltern Wiesenberg, der etwa 20 km
nördlich von Lemberg liegt, zu besuchen und die Stadt Lemberg, wo ich geboren
bin, noch besser kennen zu lernen.
Damit komme ich auf meine Aussage am Anfang zurück und betone,
dass Lemberg eine sehenswerte Stadt von Europäischem Rang ist, mit einer aus
Österreichs Zeiten erhaltenen Bausubstanz. Die Vernachlässigung der Bausubstanz
zu Sowjetzeiten führte zum Glück nicht zum Abriss. Damals diente die Stadt
sogar als Filmkulisse, um Städte wie Rom oder Venedig darzustellen. Das
zugehörige Filmstudio befand sich in einer Kirche. Die Altstadt von Lemberg
steht auf der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO und ist in vielen Teilen
restauriert. Heute ist die Stadt selber ein Touristenmagnet.
Das architektonische Glanzstück von Lemberg ist die Oper, ein
Bauwerk nach dem Vorbild der Wiener Hofoper, erbaut 1897 bis 1900. Gleich am
Tag meiner Ankunft und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich diese Oper auch
von innen gesehen mit einer Aufführung der Oper Aida von Guiseppe Verdi. Mit
hervorragenden Sängern und in einer prachtvollen Inszenierung ohne den Versuch
einer „Modernisierung“. Ein Opernhaus, in dem vor 100 Jahren der berühmte Tenor
Enrico Caruso gesungen hat, ist eben zu einem soliden, traditionellen Stil
verpflichtet.
Die Straße, die zur Oper führt ist die Flaniermeile der Stadt.
Bezeichnend ist, dass sie entsprechend den politischen Bedingungen oft ihren Namen
gewechselt hat. Zu Österreichs Zeiten war sie nach Erzherzog Karl Ludwig
benannt, in Polen hieß sie Straße der Legionen, während der deutschen Besetzung
Adolf-Hitler-Ring, zu Sowjetzeiten Leninprospekt, und nun heißt sie
Prospekt Svobody d.h.
Freiheitsavenue.
Die Reise war für mich auch deshalb ein Erfolg und ein Erlebnis,
weil ich an zwei Tagen in Wiesenberg sein konnte. Am ersten Tag konnte ich
Kontakt mit Brian Lenius aufnehmen,
der inzwischen gute Helfer in der Ukraine hat. Er hatte mit Hilfe seiner
ukrainischen Dolmetscherin den Pfarrer von Wiesenberg - Ivan Oleksin – ins Hotel
bestellt. Der Pfarrer fuhr voraus und wir mit dem Auto der
Dolmetscherin hinterher. Vielleicht erinnern sich einige, dass am Ortseingang
von Wiesenberg ein Schild stand mit der kyrillischen Aufschrift „Wiesenberg“.
Jetzt ist das Schild zweisprachig - in kyrillischen und in lateinischen
Buchstaben.
Die Wiesenberger Kirche fand ich noch schöner gestaltet als beim
letzten Besuch und innen für teures Geld ausgemalt. Mein Interesse galt vor
Allem dem Platz, den die von mir 2008 gestaltete Erinnerungstafel gefunden hat,
die von Herrn Heinz dorthin gebracht worden war. Wenn man den Vorraum der
Kirche betritt, fällt der Blick gleich auf diese Tafel, links neben der
Eingangstür zum eigentlichen Kirchenraum. In Ostrau und Umgebung kennt man
diese Tafel, denn die gleiche Tafel mit einem Textzusatz befindet sich an der
Rückwand der katholischen Kirche St. Michael in Ostrau.
St. Michael hieß die deutsche Kirche in Wiesenberg, weshalb auch
die von Flüchtlingen erbaute Ostrauer Kirche so benannt wurde. Die in
Wiesenberg von den Ukrainern so prunkvoll wieder aufgebaute Kirche hatte
zunächst den Namen Dreifaltigkeitskirche. Da die Menschen dort auf der
dreisprachigen Tafel den Namen der ehemaligen deutschen Kirche erfahren haben,
trägt diese neue Kirche heute wieder den Namen St. Michael, wie die deutsche
Vorgängerkirche.
Durch die Energie des Pfarrers Oleksin wurde vor zwei Jahren noch ein anderes
wichtiges Erinnerungssymbol für Wiesenberg geschaffen. Im Ersten Weltkrieg gab
es bei dem Steinkopf genannten Hügel bei Wiesenberg Kämpfe zwischen
Österreichischen und Russischen Truppen mit mehr als 100 Toten.
Auf dem deutschen Steinkopf hatten die deutschen Truppen einen Beobachtungspunkt,
auf dem polnischen Steinkopf die Russen. Noch während des Krieges wurde von den
Österreichern ein Denkmal auf dem deutschen Steinkopf errichtet. Das Denkmal
wurde in der Sowjetzeit abgetragen, ohne Spuren zu hinterlassen. Seit 2016
steht an dieser Stelle ein großes Kreuz mit einer Gedenktafel. Der Fußweg
dorthin von Wiesenberg aus ist allerdings ziemlich lang und beschwerlich.
Mit dem Denkmal und mit der Geschichte Wiesenbergs beschäftigen
sich jetzt sogar die für Kultur und Tourismus zuständigen Stellen in Lemberg und
in der Kreisstadt Zólkiew,
die heute Shovkwa heißt.
Am letzten Tag in Lemberg besuchte mich ein Journalist und Museumsmitarbeiter
im Hotel, der im Nachbarort Mierzwica/Merwitschi lebt und der die
Errichtung des Kreuzes zum Anlass nimmt, näheres über das
Gedenkkreuz und über das von den Sowjets vernichtete Denkmal zu erfahren. Er
wollte unbedingt ein Bild des von den Sowjets vernichteten Denkmals von mir
haben. Ich frage deshalb, hat jemand zu Hause noch Fotos oder Beschreibungen
des Denkmals, das in Wiesenberg auf dem Steinkopf zu Ehren der gefallenen
Soldaten errichtet worden war? Es ist wohl die letzte Gelegenheit, dieses für
Wiesenberg so wichtige Problem zu lösen.
W. Kraus